Ein Jahr nach meiner Genesung sehe ich dieses
Thema in einem etwas anderen Licht. Es ist für mich mittlerweile nicht mehr von
der Hand zu weisen, dass unser Körper mehr ist als eine gut oder schlecht
funktionierende Maschine und dass unser Seelenleben auch einen grossen Einfluss
auf unser Wohlbefinden hat.
Ausssagen wie „Ich lade mir zuviel auf die
Schultern.“ oder „Mein Chef sitzt mir im Nacken.“ kann man getrost mit den
Rückenverspannungen in Verbindung bringen. Daran glaube ich fest.
In diesem Zusammenhang habe ich gerade in der
letzten Woche selbst eine psychosomatische Erfahrung gemacht:
Ich knirsche schon seit Jahren mit den Zähnen
und trage daher mehr oder weniger regelmässig eine Knirschschiene.
Eines Nachts bin ich (trotz Schiene) plötzlich
mit unsagbaren Kieferschmerzen aufgewacht. Plötzlich waren sie da,
überwältigend scharf und schmerzhaft. Mir ist daraufhin im Halbschlaf ein Satz
in den Sinn gekommen:
„Du scheinst nun lange genug die Zähne
zusammengebissen zu haben, dein Körper hält dem Druck nicht mehr stand und
wehrt sich mit dem Schmerz.“
Oh ja. Ich habe lange genug die Zähne
zusammengebissen: Ich war in der Schule immer ein Streber, wollte in jedem Fach
möglichst gut sein, ich habe nie meine Meinung gesagt, wollte immer beliebt und
gemocht werden. Ich habe ein sauschweres Studium gewählt und das in kürzester
Zeit durchgezogen. Ich habe auch danach weiterhin die Zähne zusammengebissen
und eine Industriepromotion in kürzester Zeit und mit strengsten
Forschungsvorgaben durchgezogen.
Und sprechen wir mal über all meine Disziplin,
die mich trotz meiner langjährlichen Binge eating Krankheit trotzdem immer
einigermassen normalgewichtig hat bleiben lassen. Wie oft habe ich die Zähne
zusammengebissen und bin zum Sport gegangen (nicht aus Spass an der Freude wie
heute). Wie oft habe ich meinen Mund während der dauernden Diäten krampfhaft
geschlossen gehalten, damit ja kein verbotenes Essen dort hineingelangt.
Wenn ich mir das alles so überlege, ist es
eigentlich erstaunlich, dass meine Zähne diesem ganzen Druck über all die Jahre
überhaupt standgehalten haben. Doch nun brauche ich diesen Druckausgleich über
meine Kiefermuskulatur nicht mehr. Ich muss und darf nicht mehr die Zähne
zusammenbeissen. Dieser psychosomatische Schutzmechanismus wird von meinem (nun
gesunden) Körper anscheinend nicht mehr toleriert. Nun tut es weh, wenn ich die
Zähne zusammenbeisse und meinen Mund nicht aufmache. Also tue ich es. Ich sage
meine Meinung und ich gebe meinem Körper das Essen, das er verlangt.
Die Schmerzen werden dann wieder vorbeigehen
und am Ende werde ich das Knirschen nicht mehr brauchen, wenn ich weiterhin auf
meine Bedürfnisse höre und der Druck auf meinen Kiefer nicht mehr gebraucht
wird.
Ich bin immer wieder erstaunt, welche
Reaktionen und Veränderungen ich auch noch ein Jahr nach meiner Genesung
erleben darf.
Heute weiss ich, mein Körper und meine Seele
sind eine Einheit. Beide teilen sich die Bedürfnisse, die ich mich als
ganzheitlicher Mensch heute endlich auszuleben getraue.
Traut euch!
Liebe Grüsse,
Carina
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